Das Hofhaus

Das Rodauer Hofhaus befindet sich rund 300 Meter südlich vom Ortskern an der Durchgangsstraße Richtung Lichtenberg, Niedernhausen und Groß-Bieberau. Heute „Hauptstraße“ genannt trug dieser Straßenabschnitt früher den Namen „Hofgasse“, also die Gasse, die zum Rodauer Hofhaus führte. Von der rechteckig-geschlossenen mittelalterlichen Anlage ist heute nur noch das zweigeschossige Herrenhaus erhalten. Ursprünglich bestand das Gebäude nur aus der östlichen Hälfte (zur Straße hin), die im Westen mit einem eckgequaderten Treppenturm abschloss, der noch gut an den Umrissen der ehemals schrägen Fenster zu erkennen ist. Im Jahr 1785 wurde das Herrenhaus nach Westen erweitert und der Treppenturm vollständig in den Bau integriert. Im Zuge dieser baulichen Erweiterung erhielt es auch sein heutiges gebrochenes Mansarddach. Auf dem Scheitel der Tür vom Treppenturm zum Flur ist das Baujahr 1620 eingeritzt, auf dem Kellereingang steht das Umbaujahr 1785. Im Flur finden sich zum Teil noch barocke Stuckdecken mit flachen Voluten (Spiralen) und Darstellungen von Burgen.

Die Geschichte des Rodauer Hofhauses ist eng verbunden mit dem Adelsgeschlecht Von Weitolshausen genannt Schrautenbach, benannt nacht den heutigen Dörfern Waigolshausen und Schraudenbach bei Schweinfurt in Unterfranken. Der Begründer der Adelsfamilie ist der aus der Würzburger Gegend stammende Kleriker Balthasar Schrautenbach, der in Heidelberg studierte und zunächst als kaiserlicher Notar tätig war. Seit dem Jahr 1491 stand er im Dienst der Landgrafen von Hessen in Gießen. Dort übte er zunächst das Amt des Rentmeisters aus, also eines Finanzbeamten, der die Einnahmen und Ausgaben verwaltete, insbesondere die Einkünfte aus den herrschaftlichen Besitztümern. 1498 begab sich Balthasar im Auftrag des Landgrafen auf eine sechsmonatige diplomatische Reise nach Rom. Unter dem noch minderjährigen Landgrafen Philipp I. und dessen Mutter Anna stieg er 1507 zur Position eines landgräflichen Rates auf, wurde wohl als einer der ersten Beamten in Hessen zum Adel erhoben und nannte sich ab 1515 „von Weitolshausen“. 1525 nahm er als Befehlshaber am Bauernkrieg teil.

*14…., ✝︎1529Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, fürstlich hessischer Rat und Amtmann zu Gießen; erhält erstmals das Dorf Rodau als Lehen
*15….,
✝︎15….
Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, Rittmeister
*1547,
✝︎16….
Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, fürstlich hessischer Haus-Hofmeister zu Darmstadt, Rat und Amtmann zu Lichtenberg
*15….,
✝︎1635
Johann Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, fürstlich hessischer Rat und Amtmann auf Lichtenberg; wahrscheinlicher Erbauer des Rodauer Hofhauses
*1627,
✝︎1687
Georg Friedrich Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, Herr zu Roden, fürstlich hessen-darmstädtischer Kammerjunker und Oberstwachtmeister
*1654,
✝︎1738
Ludwig Balthasar von Weitolshausen genannt Schrautenbach, Herr zu Roden, fürstlich hessen-darmstädtischer Generalwachtmeister und Oberst über ein Regiment zu Fuß
Die Lichtenberg-Rodauer Linie der Herren von Weitolshausen genannt Schrautenbach

Als Belohnung für seine geleisteten Dienste erhielt Balthasar im Jahr 1522 vom Landgrafen Philipp I. das Dorf Rodau mit all seinen zugehörigen Ländereien als Lehen, d.h., er hatte die Verfügungsgewalt über die Bauern bzw. Einwohner und das Land. Die Rodauer mussten ihm Abgaben leisten und waren zu Frondiensten verpflichtet, er bot ihnen dafür „Schutz und Schirm“ und verwaltete das Dorf. Dass es die Rodauer nicht immer leicht hatten unter den Schrautenbachs, davon zeugen mehrere Gerichtsakten, in denen sich die rusticos Rotenses (‚Rodauer Bauern‘) über eine zu hohe Belastung mit Diensten und Abgaben beschweren. Fast 150 Jahre verblieb Rodau in den Händen der Adelsfamilie.

Rund 100 Jahre nachdem Balthasar mit dem Dorf belehnt worden war – um 1620 –, ließ sich sein Urenkel Johann Balthasar in Rodau einen herrschaftlichen Hof errichten: das heute noch erhaltene Rodauer Hofhaus. Johann Balthasar war ebenso wie sein Vater und sein Großvater einer der Räte des Landgrafen und Amtmann zu Lichtenberg. Die Nähe zu Lichtenberg und die Tatsache, dass Rodau im Jahr 1585 nun gänzlich in den Besitz der Schrautenbachs übergegangen war, führten wahrscheinlich zur Entscheidung, hier einen Adelssitz zu errichten. Johann Balthasars Sohn Georg Friedrich und dessen Sohn Ludwig trugen fortan den Titelzusatz „Herr zu Roden“. Eine Zeit lang besaßen die Herren zu Roden das Patronatsrecht über die Kirche in Groß-Bieberau, d.h., sie verliehen das Kirchenamt und waren mit der Kirchenaufsicht betraut. Auch ihre Leichname wurden in der Kirche beigesetzt.

1671 – Tausch- und Kaufbrief über Dorf und Adelssitz zu Rodau
Quelle: Hessisches Staatsarchiv Darmstadt

Erstlich so verkaupht und überlässet Seiner Fürstl. Ex. der Rittmeister von Schrautenbach, nachfolgende Seine von deroselben und dero Fürstl. Hauße bißdahero theils zu Lehen getragene und theils aigene, sonsten Niemand afficirte Güther, Dorffphaffen, adeliche Size und Höfe, mit aller ihrer Ingehörung, an Waldungen, Hofraiten, Äcker, Wießen, Gärten und anderm, wie auch Pändigen und Unpändigen Geld, und Fruchtgefällen, Item Federviehe, Wasser, Waid, Forst, Mast, Jagd, Fischens, und Frohn=Gerechtigkeiten, Underthanen und allem andern, es bestehe worin es wolt, nichts ausgenommen, benantlich den Adelichen Siz Zu Roda, an Hauß, Hof und allen andern darzugehörigen Neben Gebäuden sambt denen daran gelegenen Baumgärten, und Fischweihern, allen dazu gehörigen Äckern und Wießen, Gebaut und ohngebauet; Ferner das Dorff Roda mit darin sich befindenden Hindersassen, Gebott und Verbott, denen hergebrachten Frohndiensten, dem Gericht, Buesen, und Frevel so nicht Centhbar /:

Transkription des Tausch- und Kaufbriefs von 1671 (Ausschnitt)

Im Jahr 1671 veranlasste Landgraf Ludwig VI. von Hessen die Schrautenbachs, ihren Besitz in Rodau gegen den Hof in Gundernhausen zu tauschen. Der Landgraf ließ den Rodauer Hof bald darauf baulich erneuern. Für die nächsten rund 40 Jahre wurde der Hof an den jeweils meistbietenden Beständer (Pächter) verpachtet. Die durchschnittliche Pacht betrug je 17 ½ Malter Roggen, Gerste, Hafer und Weizen jährlich (1 Malter = ca. 130 Liter), die die Pächter auf den Ländereien des Hofes erwirtschaften mussten, wenn sie nicht noch andere Ländereien zur Verfügung hatten. Den ersten Zuschlag hatte bis 1685 der Lichtenberger Amtskeller Georg Vigelius erhalten. Zu dieser Zeit befand sich im Rodauer Hof wahrscheinlich auch die Lichtenberger Kellerei, d.h., dort wurden die dem Landgrafen zustehenden Abgaben in Form von Naturalien angeliefert. Vigelius‘ Nachfolger war bis 1697 der Oberförster Jost Burkhart Rainer, der den Rodauer Hof – wie auch seine Höfe in Wembach und Nieder-Modau – von Bediensteten bewirtschaften ließ. Schließlich wurde Burkhart Heppenheimer aus Ober-Ramstadt bis 1710 Pächter. In dieser Zeit betrieb Heppenheimers Schwiegersohn Leonhard Ost auf dem Hof eine Gastwirtschaft.

Im Jahr 1710 wurde die Zeitpacht in eine Erbpacht umgewandelt. Der Meistbietende war Georg Höltzer, ein Sohn des Groß-Bieberauer Hofbeständers. Als Höltzer 1730 starb, ging der Hof an seinen Schwiegersohn Martin Schuchmann und blieb für drei Generationen in den Händen der Familie Schuchmann. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde es schließlich in zwei Hälften geteilt und verkauft: Die Osthälfte ging an die Familie Röder, die Westhälfte an die Familie Lautenschläger, in deren Besitz es noch bis Anfang des 21. Jahrhunderts war.

von Philipp Rauth


Verwendete Quellen: