Besonderheiten unseres Dialekts

Die Kenntnis der kleinräumigen Ortsdialekte geht seit Jahrzehnten stetig zurück. Das ist einerseits auf den wachsenden Einfluss des Standarddeutschen zurückzuführen, das in den Medien und mittlerweile auch in der Berufswelt stark verbreitet ist. Der Ortsdialekt beschränkt sich weitestgehend auf das Privatleben. Andererseits sind die Dialekte seit Jahrhunderten stigmatisiert, d.h., Dialektsprechern werden bestimmte negative Eigenschaften zugeschrieben.

Bei den Dialekten handelt es sich jedoch nicht um „falsches“ oder „schlechtes“ Deutsch, sondern um Varianten des Deutschen, die festen grammatischen Regeln folgen. Auch das Standarddeutsche ist hier nur eine Variante unter vielen. So gibt es beispielsweise im Standarddeutschen mehrere Wörter für den Beruf der Fleisch- und Wurstherstellung, die verschiedenen Dialektregionen entstammen: Metzger, Fleischer und Schlachter. Die Dialekte stellen also die Wurzeln unserer Standardsprache dar.

Ein schönes Beispiel dafür, wie sich der typische Rodauer Ortsdialekt anhört, ist die Übersetzung der sog. „Wenkersätze“ aus dem späten 19. Jahrhundert. Der Dialektforscher Georg Wenker entwarf 40 Sätze, die er 1879 in Form eines Fragebogens an alle Schulorte des damaligen Deutschen Reichs verschickte. Die Schullehrer sollten die Sätze dann zusammen mit ihren Schülern in den jeweiligen Ortsdialekt übersetzen. Der Rodauer Schullehrer zu dieser Zeit war Heinrich Ludwig Göttmann aus Höchst im Odenwald.

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Ausschnitt des Rodauer Wenkerbogens (aus dem Jahr 1879)
Quelle: regionalsprache.de

Vor diesem Hintergrund werden im Folgenden einige Besonderheiten des Rodauer Ortsdialekts vorgestellt. Die meisten Besonderheiten sind typisch für einen größeren Raum, z.B. für Südhessen (Starkenburg), manche ortstypisch für Rodau.


Lautliche Ebene

Verdumpfung
In bestimmten lautlichen Umgebungen wird der Vokal <a> zu einem offenen <o> verändert (in IPA-Lautschrift: [ ɔ ]). Das bezeichnet man auch als a-Verdumpfung. Im Standarddeutschen gibt es diesen Vokal nur in kurzer Ausführung, z.B. in den Wörtern toll [tʰɔl] oder konnte [kʰɔntə], in Rodau kann er kurz oder lang sein. In Mundarttexten und Dialektgrammatiken wird der Laut meist als <å>, <ao> oder <oa> dargestellt. Die Verdumpfung ist charakteristisch für Rodau, Südhessen (Starkenburg) und viele andere mittel- und oberdeutsche Dialekte.

  • PfannePånn [pʰɔn]
  • kaltkålt [kʰɔlt]
  • gemachtgemååcht [gəmɔːχt]
  • Gute NachtGenååcht [gənɔːχt]
  • GartenGårde [gɔɐ̯də]
  • SchlagSchlååg [ʃlɔːk]

Hebung vor <r>

In Rodau werden in bestimmten Fällen die langen Vokale <a> und <o> vor einem darauffolgenden <r> zu einem langen <u>. Da der Zungenrücken sich bei der Artikulation des <u> weiter oben im Mundraum befindet als bei <a> und <o>, spricht man hier von Hebung. Ältere Rodauer berichten, dass gerade dieses Merkmal früher sehr stigmatisiert war, weil zum Beispiel die mundartliche Entsprechung des häufig gebrauchten Wortes Haare zu Ärger mit dem Schullehrer führen konnte. Die Hebung zu <u> gibt es noch häufiger in Südhessen, allerdings stellen Rodau und Asbach eine Art Insel dar, um die herum beispielsweise die Wörter Haare (Hoorn) und Ohren (Ohrn) hörbar anders ausgesprochen werden.

  • HaareHuurn
  • klarkluur
  • wahrwuhr (Da hast du recht → Do hosde wuhr)
  • StarStuur (Singvogel)
  • OhrenUhrn

Entrundung

Die beiden Umlaut-Vokale <ü> und <ö> werden mit nach vorne gerichtetem Zungenrücken und mit gerundeten Lippen artikuliert. In Rodau und im Rheinfränkischen generell gibt es diese beiden gerundeten Vokale nicht. Stattdessen werden sie in bestimmten Fällen ohne Lippenrundung gesprochen, d.h. entrundet, sodass <i> und <e>/<äi> entstehen. Auch das Wort um enthielt früher ein <ü>, weshalb sowohl um als auch alle Zusammensetzungen mit um ebenfalls mit dem Vokal <i> ausgesprochen werden.

  • müdemied
  • frühfrieh
  • dünndinn
  • blödbläid / bleed
  • bösebäis / bees
  • nötignäirisch / neerisch
  • um, warum, herumim, warim, erim

Rhotazismus

Die beiden Konsonanten <d> und <t> werden zwischen Vokalen meist als <r> ausgesprochen. Das bezeichnet man nach dem griechischen Namen „Rho“ für den Buchstaben <r> als Rhotazismus. Endet ein Wort auf <d> oder <t> und das folgende beginnt mit einem Vokal, findet ebenfalls Rhotazismus statt. Ausnahmen dieser Regel sind Vater, Mutter, Butter, Futter, dritter. Früher wurde das <r> in Rodau mit der Zungenspitze artikuliert. Weil die Laute <d> und <t> ebenfalls mit der Zungenspitze gesprochen werden, ist der Übergang zu <r> nachvollziehbar. Heute ist in Rodau auch das Zäpfchen-<r> verbreitet, das am hinteren Gaumen erzeugt wird. Der Rhotazismus ist vor allem in Hessen, Rheinland-Pfalz und Mecklenburg-Vorpommern verbreitet.

  • WetterWerrer
  • KaterKarrer
  • BruderBrurer
  • badenbååre
  • RodauRoore
  • hat er, tut erhor er, dur er
  • versteht er → vestäihr er
Verbreitung des Rhotazismus beim Wort Bruder (nach Wenkersatz 33) in den deutschen Dialekten

Wortebene

Weibliche Adjektivendung

Im Standarddeutschen richten Adjektive (z.B. schön, alt, grün) ihre Endungen nach dem grammatischen Geschlecht („Genus“), wenn davor z.B. die Artikelwörter ein, kein oder sein stehen:

GenusBeispiel
Maskulinummein schön-er Garten
Femininumeine schön-e Blume
Neutrumsein schön-es Haus

Im Odenwald und an der Bergstraße (sowie in Unterfranken, in der Pfalz, im Badischen und in der Schweiz) endet das Adjektiv beim femininen Genus nicht auf <-e>, sondern auf ein gut hörbares <-i>. Rodau liegt an der nördlichen Grenze dieses Dialektmerkmals, weshalb öfter auch Formen ohne <i> zu hören sind.

GenusBeispiel
Maskulinummoin scheen-e Gårde
Femininume scheen-i Blum
Neutrumsoi scheen-es Haus
Verbreitung der i-Endung beim Adjektiv im Ausdruck weiße Seife (nach Wenkersatz 32) in den deutschen Dialekten

Vorsilbe <ver>

Viele Verben (Tätigkeitswörter), die im Standarddeutschen die Vorsilbe <er-> haben, z.B. er-frieren, er-kälten, er-saufen, er-schrecken, er-wischen und er-zählen, erhalten in den meisten deutschen Dialekten die Vorsilbe <ver->, in Rodau als <ve-> [fə-] ausgesprochen. Nur die Dialekte in Sachsen, Thüringen und Franken haben wie im Standarddeutschen die Vorsilbe <er->. In den bairischen Dialekten lautet die Vorsilbe sogar <-der>.
Die Rodauer Vorsilbe <ver-> kann in Ausnahmefällen zu Verwechslungen führen, weil z.B. mit vezehle einerseits ‚eine Geschichte erzählen‘ und andererseits ‚beim Zählen durcheinander kommen‘ gemeint sein kann. Die bairischen Dialekte wiederum haben die Vorsilbe <der->.

  • Isch vefrier glei!
  • Isch häb misch vekält.
  • Do wär isch beinoh vesoffe.
  • Wos bin isch ewe veschrocke!
  • Loss disch ner net vewische!
  • Isch muss der mol wos vezehle.
Verbreitung der Vorsilbe ver– beim Verb erzählen (nach Wenkersatz 21) in den deutschen Dialekten

Genitiv

Das Standarddeutsche besitzt vier grammatische Fälle:

  1. Wer-Fall (Nominativ): der Schuh
  2. Wes-Fall (Genitiv): des Schuhs
  3. Wem-Fall (Dativ): dem Schuh
  4. Wen-Fall (Akkusativ): den Schuh

Der Wes-Fall bzw. Genitiv ist in fast allen deutschen Dialekten ausgestorben, es finden sich meist nur noch sprachliche Relikte wie mojends, owends, nåchts oder dågsiwwer. Im Bereich der Familien-, Haus- und Hofnamen wird der Genitiv aber nach wie vor verwendet, allerdings wird er nicht mehr als solcher wahrgenommen. In Ausdrücken wie s Schubkeijels, s Scholze, s Vierhellersch oder s Bergees ist immer die gesamte Familie gemeint. Ursprünglich bezeichneten die Ausdrücke aber nur das Familienoberhaupt im Genitiv: des Schubkegels, des Scholzen, des Vierhellers, des Bergoints. Man hat früher wahrscheinlich ein weiteres Wort dazugesagt, um die ganze Familie zu bezeichnen: des Schubkegels Leute. Im Laufe der Zeit wurde Leute aus Bequemlichkeit weggelassen, sodass der Genitiv s Schubkeijels statt einer Einzelperson nun eine Gruppe von Personen bezeichnete. Neben Leute konnte aber auch der Vorname einer Person aus der Familie oder Haus bzw. Howert (‚Hofreite‘) dazugesagt werden:

  • die Frånke Lina, de Fritze Willi, de Steffels Karl (Genitiv des Familienoberhaupts + Vorname)
  • die Fricks Howert, es Frånke Haisje (Genitiv des Familienoberhaupts + Haus oder Hofreite)

von Philipp Rauth


Verwendete Quellen
  • Bertaloth, Georg (1935): Zur Dialektgeographie des vorderen Odenwalds und des nördlichen Rieds (Fränkische Forschungen 5). Erlangen: Palm & Enke.
  • Freiling, Paul (1929): Studien zur Dialektgeographie des hessischen Odenwaldes (Deutsche Dialektgeographie 12). Marburg: Elwert.
  • Rauth, Philipp (2014): Die Entstehung von s-Plural und „Sächsischem Genitiv“. Familien- und Personennamen als Brückenkonstruktionen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 136(3), 341–373.
  • Schirmunski, Viktor M. (2010): Deutsche Mundartkunde. Herausgegeben und kommentiert von Larissa Naiditsch. Frankfurt am Main: Lang.
  • Schmidt, Jürgen Erich / Joachim Herrgen / Roland Kehrein / Alfred Lameli (Hgg.) (2008ff.): Regionalsprache.de (REDE). Forschungsplattform zu den modernen Regionalsprachen des Deutschen. Bearbeitet von Dennis Bock, Brigitte Ganswindt, Heiko Girnth, Simon Kasper, Roland Kehrein, Slawomir Messner, Christoph Purschke, Anna Wolańska. Marburg: Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas.